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AutorenbildVanessa & René

Ziel erreicht: In Indien mit Motorschaden

Aktualisiert: 26. März

Am Nachmittag erreichen wir die einzig offene Grenze zwischen Pakistan und Indien. Wir passieren das Grenzstadion zuerst auf pakistanischer, dann auf indischer Seite und wir fahren auf indischem Boden. Wir haben unser Ziel erreicht!


Die indischen Grenzbeamten stellen noch einige Fragen, was wir in Pakistan so gemacht haben, ob wir dort Freunde hätten und ob wir gegen Polio geimpft wären. Pakistan sei nämlich ein Polio-Hochrisikoland. Die Impfung haben wir beide schon als Kinder bekommen, weswegen die Beamten beruhigt sind. Es hätte ansonsten direkt im Grenzhaus die Möglichkeit gegeben, die Impfung als Schluckimpfung zu erhalten. Außerdem können sie es fast nicht glauben, dass unser Auto schon über 40 Jahre alt ist. In Indien sind wegen strenger Abgasregeln Fahrzeuge, die älter als 20 Jahre alt sind, verboten. Nach dieser Nutzungsdauer werden sie verschrottet. Für uns Touris wird natürlich eine Ausnahme gemacht, aber sie fragen uns, warum wir uns für so eine lange Reise kein moderneres, verlässlicheres Auto ausgesucht haben. Wir meinen, dass unser Bus sehr verlässlich ist und versuchen, freundlich zu bleiben.

Mit unseren Rad fahrenden Freund*innen Johanna und Stefan sitzen wir wenig später auf der Tribüne inmitten einer tobenden indischen Menge. Vieles ist hier jetzt schon anders als in den Ländern zuvor. Es ist ungewohnt, Frauen bauchfrei tanzen zu sehen. Die Frauen tragen bunte lange Saris, also Tücher, die um den Körper gewickelt werden. In der Mitte der Stirn tragen die Inder*innen einen roten Punkt, das dritte Auge. Johanna und Vanessa werden von den feierwütigen Frauen eingeladen, in der Mitte des Stadiums mit ihnen zu tanzen. Die Männer müssen auf ihren Plätzen bleiben und zuschauen.

 
 

Die Musik ist viel zu laut, sodass sie auch auf pakistanischer Seite sehr gut zu hören sein muss. Es geht um zur Schaustellung von Unterschieden und Überheblichkeit. Die „Show“ der Wachablöse zwischen Pakistan und Indien ist nicht weniger propagandistisch. Die indische Menge brüllt vor Ekstase, es gibt einen Stimmungsmacher, der die Menge anfeuert. Wir vier staunen nur über das Spektakel. Die Lautstärke der Musik und der Menge wird uns noch durch Indien, das bevölkerungsreichste Land der Welt, begleiten.


Nach der Show fahren wir weiter Richtung Amritsar, wo wir die nächsten drei Tage auf einem bezahlten Parkplatz inklusive warmer Duschen verbringen. Es ist Jänner und es ist so wie in Pakistan immer noch kalt.

Amritsar ist die Stadt der Sikh-Religion. Die Männer tragen einen Turban und ungeschnittenes, gepflegtes Haar darunter. Sie schneiden ihre Haare nie, denn wenn ihr Gott will, dass es immer weiterwächst, dann soll es so sein. Sikhs engagieren sich gegen Armut und setzten sich für gleiche Chancen für Männer und Frauen ein. Die Sikhs verehren einen gestaltlosen, geschlechtsneutralen Gott und lehnen Aberglaube und religiöse Riten strikt ab. In den Gurdwaras, also den Tempeln, dürfen alle Menschen zum Beten hinkommen. Ebenso gibt es für alle Menschen täglich gratis frisches Essen, dafür wird nicht mal eine Spende verlangt. Die Sikh helfen freiwillig in den riesigen Suppenküchen, spenden die Lebensmittel dafür und verköstigen zum Beispiel im goldenen Tempel an die hunderttausend Menschen täglich. Auch wir wollen uns den goldenen Tempel und die womöglich größte Suppenküche der Welt anschauen.

 
 

In der Tempelanlage muss jeder Barfuß laufen und eine Kopfbedeckung tragen. Der Harmandir Sahib (goldener Tempel) ist der für die Sikhs der bedeutendste Tempel. Wie alle Gurdwaras ist er in die vier Himmelsrichtungen ausgerichtet und betont so, dass alle Menschen willkommen sind. In der Mitte der Tempelanlage befindet sich ein künstlicher See, der für die religiöse Waschung dient. In der Suppenküche läuft alles nach System. Am Eingang bekommt man einen Teller, eine Schüssel und einen kleinen Löffel. Dann setzt man sich der Reihe nach auf den Boden und freiwillige Sikh gehen mit großen Eimern voller Curry, Dal und Reis durch und verteilen allen was auf ihre Teller. Zum Schluss bekommt man noch zwei Scheiben Roti-Brot und warmes Wasser wird uns von einem kaum 10 Jahre alten Schüler in die Schüssel gegossen. Wenn jemand fertig ist, verlässt er die Reihe. Wenn eine Reihe leer ist, wird kurz gewischt und schon wieder mit den nächsten Menschen aufgefüllt. Niemand muss warten, alles läuft nach Plan und System, das beeindruckt uns sehr. Es sollte auch das letzte Mal in Indien sein, wo alles geordnet nach Plan und System läuft.


Amritsar ist eine schöne und konträre Stadt, so wie Indien ein sehr konträres Land ist. Es gibt unzählige Tempel, schöne Straßen und unmittelbar daneben Menschen, die von der Hand in den Mund leben, Fäkalien am Boden, nackte Kinder und Straßen aus Müll. Und dann ist da dieser nie endende Lärm. Gefahren wird mit Dauerhupe, Menschen schreien uns auf der Straße an, in der Hoffnung, etwas verkaufen zu können, Kühe, Affen, Maschinenlärm. Das alles ist sehr viel für uns. Ob wir uns daran noch gewöhnen können?


Einen Tag widmen wir kleinen Reparaturen in einer Werkstätte. Unser Bus bekommt ein paar neue Glühkerzen und einen neuen Getriebe-Simmering, welche wir mit einer Motorradfahrt zu dritt besorgen. Die Teile werden alle vom sogenannten „local“ Markt besorgt.

 
 

Die Marke der Glühkerzen ist zwar eine deutsche, aber „Made in India“. Wir werden von den Mechanikern zum Mittagessen eingeladen und bekommen allerlei süßes Streetfood gezeigt.

Nach einigen Tagen in Amritsar geht’s weiter Richtung Delhi. Die Strecke ist uns für einen Tag zu weit und wir stoppen auf halbem Weg mitten im Dschungel. Dort ist es halbwegs leise und wir bleiben ungestört, der erste und letzte leise Platz zum Campen in Indien.

 
 

Am nächsten Morgen fahren wir über eine sehr abenteuerliche Straße zurück zur Hauptstraße Richtung Delhi. Abseits vom Highway sind die Straßen eng, oft nicht asphaltiert und die Stromleitungen tief. Der Highway ist dagegen ein Traum.


Gegen Abend erreichen wir Delhi und sind erstaunt über den flüssigen Verkehr. Wir suchen einen Parkplatz in einer Gated Community, beim Security fahren wir ganz selbstverständlich vorbei. Die Viertel in Delhi bestehen hauptsächlich aus Gated Communitys. Am Abend wird das Tor geschlossen und niemand kann mehr hinein und auch nicht hinaus. Meistens ist es in diesen abgeriegelten Vierteln sehr ruhig und es gibt Parks mit öffentlichen Toiletten.

Am nächsten Tag fahren wir zu einem Parkplatz von einem Hostel in der Nähe, wo wir die Möglichkeit bekommen, unsere Elke die nächsten Tage gratis zu parken. Außerdem haben wir Zugang zu warmen Duschen, Toiletten und Strom.

 
 

Wir besuchen den großen Gewürzmarkt, der der größte Asiens sein soll. Dort geht es sehr chaotisch zu, Menschen, Tiere und Fahrzeuge drängen sich durch die engen Straßen. Männer kauen roten Tabak und rotzen diesen auf die Straße, gegen Laternen und auf fremde Füße. Man muss sehr aufpassen, nicht angespuckt zu werden. Wir probieren auch hier Süßes, vergorene Milch mit Zucker, die in einem Tongefäß verkauft wird. Wenn man fertig gelöffelt hat, wirft man das Tongefäß einfach auf den Boden. So wie auch allen anderen Müll, den man so bekommt. Für uns ist das eine große Überwindung, stellen es anfangs vorsichtig auf die Straße. Mülltonnen gibt es keine. Müllsammler suchen auf den Straßen verwertbare Dinge. Um den Rest kümmern sich die Kühe und Ratten. Schätzungen zufolge gibt es in Delhi mehr Ratten als Menschen.

Es gibt in Indien auch so viele Analphabeten wie in fast keinem anderen Land. Obwohl wir gehofft haben, dass die Menschen aufgrund der kolonialen Vergangenheit wieder einigermaßen Englisch sprechen, werden wir enttäuscht. So große Sprachbarrieren wie hier hatten wir auf unserer Reise noch nie. Wenig Bildung führt automatisch auch zu viel Armut, welche uns hier mit noch größerer Wucht entgegenschlägt. Obwohl es in Indien seit langem wieder einigermaßen viele Tourist*innen gibt, tun viele so, als wären wir von einem anderen Planeten in Indien gelandet. Bei den Sightseeing-Spots werden versteckt Fotos von uns gemacht. Manche versuchen dann, die Fotos an uns zu verkaufen. Vor allem Vanessa wird täglich von vielen Männern nach Selfies gefragt. Ein Nein wird erst beim sehr lauten dritten Mal ernst genommen. Oder sie fragen nicht und machen einfach eines. Weil immer überall Menschen sind, haben sie ein ganz anderes Gefühl von Nähe und Distanz. Beim Gehen auf der Straße streift jeder zweite zu nahe an uns vorbei. Es stinkt überall nach Urin, Kot, verbranntem Plastik und Abgasen. Viele sind erstaunt, dass Vanessa auch einen Führerschein hat. Wie so viele öffentlich sichtbare Dinge ist auch das Autofahren Männersache.

Aber auch wir haben uns verändert. Während wir in den letzten Monaten kaum auf Tourist*innen gestoßen sind und überall als fremde Gäste eingeladen wurden, ist auch das hier anders. Hier laufen uns oft weiße Tourist*innen über den Weg. Unser erster Instinkt ist, sie anzusprechen, woher sie kommen und wohin sie unterwegs sind. Doch wir halten uns zurück, die anderen bemerken uns nicht einmal. Wir müssen uns daran gewöhnen, wieder in einem Land zu sein, in das Menschen auf Urlaub fliegen. Ein Land, wo wohlhabendere weiße Menschen auch zum Straßenbild gehören. Straßenverkäufer*innen, Restaurants und Rishkafaher sind auf Tourist*innen getrimmt. Sie versuchen, ihre Ware und das Essen oft mindestens 20-mal teurer zu verkaufen, wenn sie unsere Hautfarbe sehen. Wir wissen mittlerweile, was wie viel kosten darf und wo man gutes Essen bekommt, wo auch die Einheimischen essen. Wir wissen, wie man verhandelt, weil es für uns wichtig ist, nicht den Touripreis zu zahlen. Verhandeln ist hier auch durchaus üblich. Die anderen Tourist*innen finden es im Gegensatz zu uns hier billig. Dann ist es auch richtig, dass sie mehr bezahlen als wenig verdienende Einheimische. Wir merken zum ersten Mal so richtig, wie sehr wir uns auf dem Weg hierher verändert haben. Wir haben zwar dieselbe Hautfarbe und Privilegien wie diese Menschen, fühlen uns aber irgendwie anders.


Wir nützen die Zeit für Sightseeing, zum Klettern und um unseren Bus innen zu verschönern. In Pakistan haben wir die 3er-Sitzbank rausgeworfen und seitdem sehr viel ungenutzten Platz im Bus. Wir besuchen einen lokalen Holzmarkt, wo wir zunächst nur das Holz kaufen wollen. Der Preis für einen Tischler, der unsere Arbeiten machen möchte, ist so gut, dass wir nicht ablehnen können. Er arbeitet zwei Tage lang für uns, hat alle benötigten Maschinen dabei, schneidet, laminiert und passt an. Dafür will er umgerechnet 10€ von uns. Das Hostel erlaubt uns, die Arbeiten im Innenhof zu erledigen. Wir ernähren uns hauptsächlich von Samosas, mit Gemüse gefüllte Teigtaschen, die frittiert werden. Das Essen ist hier sehr gut und wir haben Glück, dass unsere Mägen schon einiges aushalten.


Kurz vor Fertigstellung erreicht uns die Nachricht von einem familiären Notfall und wir entscheiden, zwei Tage später nach Hause zu fliegen. Wir haben schon einen Parkplatz bei einer Klettercommunity am Stadtrand von Delhi organisiert, wo der Bus während unserer Abwesenheit sicher ist. Am Nachmittag vom Tag vor dem Abflug machen wir uns am Weg zum Parkplatz. Die Warnleuchten im Bus leuchten plötzlich auf. Der Ölstand passt, wir denken an einen elektronischen Fehler des Sensors und sind am Weg zur Werkstatt, um die Situation abklären zu lassen. Nach einer kurzen Fahrt werden die Geräusche im Motorraum lauter und wir stellen den Motor auf einer stark befahrenen Kreuzung ab. Ein erneuter Startversuch schlägt fehl und nach einer kurzen Absprache über WhatsApp mit unserem Freund und Mechaniker Hauzi lautet die Ferndiagnose „kapitaler Motorschaden“. Jetzt beginnen die anstrengendsten 24 Stunden unseres Lebens.


René macht sich auf den Weg zur nahe gelegenen VW-Werkstatt. Vanessa wartet inzwischen im Bus auf der Kreuzung. Polizisten kommen schon nach kurzer Zeit vorbei, um ihr mitzuteilen, dass man hier nicht parken darf. Vanessa versucht ihnen zu erklären, dass sie hier nicht parkt, sondern das Auto nicht mehr fahren will. Vanessa wimmelt die Polizisten ab und hofft auf schnelle Hilfe, die mit René mitkommt.

Wenig später erreicht René mit einem Mechaniker der Werkstatt die Kreuzung. Dieser Mechaniker hat seine Fähigkeiten leider nicht in seinem Job gefunden. Er denkt trotz mehrmaliger Erklärung von René, dass es ein Problem mit der Batterie gibt und das Auto deshalb nicht mehr starten will. Ganz glücklich holt er seine Starterkabel raus, gibt Starthilfe und schleift den Motor so lange, bis dieser endgültig aufgibt. Die Geräusche im Motorraum werden immer lauter und quietschender. Schließlich müssen wir ihm wegen seiner Inkompetenz den Schlüssel wegnehmen und einen Abschleppwagen verlangen. Ganz enttäuscht bettelt er uns an, es nochmal versuchen zu dürfen. Wir sehen, auf fremde Hilfe können wir uns nicht verlassen, wir müssen das Problem selbst in die Hand nehmen. An diesem Abend wird das Fahrzeug auf indische Art vor die Werkstatt geschleppt. Eine Eisenkette wird verwendet, welche durch die ruckartige Fahrweise des Abschleppfahrers nach nur wenigen Fahrminuten reißt. Zum Glück ist unser Bus stabil genug, bei einem Auto wäre jetzt wahrscheinlich zusätzlich zum Motor noch die Stoßstange Schrott.

Es ist schon spät und vor der Werkstatt ist es nicht sicher, deswegen schlafen wir im Bus, inmitten von Schrottautos. Zum Glück gibt es hier auch sympathische Menschen und wir trinken mit zwei Mechanikern noch ein Bier. Verständigen können wir uns kaum, aber sie sind überzeugt, dass sie unser Auto wieder zum Laufen kriegen. Am nächsten Tag um drei Uhr nachmittags sollten wir in das Flugzeug Richtung Österreich steigen. Gerade erscheint das unglaublich weit weg. So schlecht wie in dieser Nacht haben wir noch nie geschlafen.


Am nächsten Tag stellt sich heraus, dass die gesamte VW-Werkstätte nur Mechaniker hat, welche mit Diagnosegerät arbeiten können. Nach langer Diskussion und Erklärung versichert uns der inkompetente Service-Boss, dass sie unser Auto reparieren können. In der Diskussion auf Hindi hören wir immer wieder das Wort „Batterie“. Er meint, ohne das Auto gesehen zu haben, dass er den Schlüssel braucht, weil er jetzt das Diagnosegerät anstecken wird. Bei uns leuchten rote Lampen auf. Als wir ihn an der Hand nehmen und das Auto zeigen, versteht auch er, dass das Auto nicht repariert werden kann. Trotz, dass es nur ein „Batterieproblem“ ist. Die ganze Werkstatt kommt raus, um sich unser altes Auto anzuschauen. Hier haben sie sowas schon lange nicht mehr gesehen. In Delhi sind die Gesetzte für alte Verbrennermotoren noch strenger. „verschrotten“ lesen wir an ihren Augen ab. Wir haben uns die womöglich schlechteste Zeit und den schlechtesten Ort für so ein Problem ausgesucht.

Hier ist das Auto also nicht in guten Händen, was jetzt zählt, ist es, bis 12 Uhr mittags einen sicheren Parkplatz zu finden. Dann sollten wir nämlich in das Taxi Richtung Flughafen steigen. Wir laufen wie aufgescheuchte Hühner durch das Viertel, das grundsätzlich nicht das Sicherste ist. Deswegen ist es um so wichtiger, einen Parkplatz mit Überwachung zu finden. Die Leute von der Werkstatt wollen uns und unseren Bus jetzt so schnell wie möglich loswerden, aber helfen tun sie uns nicht. Vanessa findet einen Kilometer entfernt ein Hotel, wo sie den Securitymanager überreden kann, unsere Elke beim Hotel zu parken. René erkennt, dass auch die Fähigkeit, ein Abschleppauto zu organisieren nicht vorhanden ist und organisiert Männer aus der Werkstatt, welche unsere Elke anschieben. Die Mechaniker wissen nicht, wie ihnen geschieht und lassen verdutzt ihre Arbeit links liegen, um unser kaputtes Auto durch Delhi zu schieben. Am Weg zum Hotel schließen sich uns immer mehr Menschen an, sogar Kinder beteiligen sich am Schieben. Es ist wortwörtlich kurz vor 12, als wir zusammen mit 10 Indern unseren Bus einen Kilometer durch Delhis Arbeitsverkehr zum Hotel schieben. Auch das ist Indien: wenn man eine Person um Hilfe fragt, bekommt man 10.

Wir sprechen uns noch mit dem Manager ab, der unsere Not erkannt hat. Elke wird hier 24/7 von den Parkplatzwächtern des 5*-Hotels bewacht. In den Hotelparkplatz dürfen wir zwar nicht, aber in der ersten Reihe des Taxistandes. Er verteilt noch unser Essen von gestern an Obdachlose, wir geben den Kindern Saftpackungen und verteilen an die bedürftigeren Helfer 100 Rupien-Scheine. Das ist umgerechnet 1€ oder ein Mittagessen in Indien. Der Manager organisiert uns ein Taxi und wir sind viel zu spät am Weg zum Flughafen, aber der Taxifahrer gibt sein Bestes. Nun liegt nichts mehr in unserer Hand. Ob wir es rechtzeitig zum Flughafen schaffen werden? Ob wir es überhaupt rechtzeitig nach Hause schaffen werden? Ob der Bus in einem so weit entfernten fremden Land ohne uns wirklich sicher ist? So ein Gefühl der absoluten Machtlosigkeit haben wir noch nie erfahren.


Der Flug hat zum Glück eine Stunde Verspätung, wodurch wir gerade noch einchecken dürfen. Eine halbe Stunde vor Abflug essen und trinken wir an diesem Tag das erste Mal. Ein Flughafenmitarbeiter schenkt uns eine Flasche Wasser. Vielleicht weil wir so fertig ausschauen. Es gibt auch gute Menschen.

Wir haben es noch rechtzeitig zu unserer Familie geschafft. Das ist das einzige, das wirklich zählt, alle materiellen Dinge sind zweitrangig. Wir verbringen zwei schöne und aufwühlende Wochen in Österreich. Wir haben unsere Familie ein Jahr nicht mehr gesehen, doch so haben wir uns das Heimkommen nicht vorgestellt. Es kommt eben immer anders als man denkt. Wir dürfen wieder lernen, wie gut wir es haben. Wir können unseren Traum leben und doch für einen Notfall mal eben nach Hause fliegen. Wir sind gesund. Wir haben eine Familie, die uns unterstützt. Das alles ist für uns nicht selbstverständlich und ein riesiges Privileg.

Die Zeit in Österreich verwenden wir auch für viele andere organisatorische Dinge. René organisiert in Deutschland zur Sicherheit einen Tauschmotor, welchen wir hoffentlich nicht brauchen, da der Import nach Indien sehr schwierig und kostspielig ist. Zusätzlich nehmen wir Dichtungen, Lager und sonstige Dinge für eine Motorreparatur mit, denn dass dieser Bus wieder fahren soll, ist für uns beide nie in Frage gestanden.

Nach zwei Wochen in Österreich und einigen Besuchen von Familie und Freunden fliegen wir zurück nach Delhi. Ein riesiges Dankeschön geht raus an Hauzi und Gerhart, die uns in der Zeit zu Hause mit Rat und Tat zur Seite gestanden sind. Hauzi und René kaufen bei einem Ersatzteilhändler ein und bestimmte Motorteile werden organisiert. Wir nehmen zwei alte Koffer mit und verstauen alle Motorteile und reichlich Schokolade im Gepäck.

In Indien gelandet, verbringen wir die ersten Tage in unserer Elke vor dem Hotel und der stark befahrenen Straße. Die Parkwächter haben tatsächlich sehr gut auf unseren Bus aufgepasst und sie freuen sich über die mitgebrachte Schokolade.


Die nächsten Tage verbringen wir mit der Mission, eine Werkstatt zu finden. Gar nicht so einfach, da hier eine riesige Sprach- und Verständigungsbarriere besteht. Wir verstehen kein Hindi, die verstehen nicht, dass wir mit unserem Auto hier sind und Hilfe brauchen. Nach einigen anstrengenden Tagen, in denen wir oft die Wörter „verschrotten“ und „verschiffen“ gehört haben, sprechen wir über mehrere Ecken mit einer Werkstatt, wo wir kurze Zeit später bei einem Masala-Milch-Tee sitzen und uns der Besitzer versichert, dass alles repariert werden kann. Er geht sogar weiter und verspricht uns, Elke zu 100% reparieren zu können. Wir sind uns unsicher, freuen uns über die Nachricht und hoffen, dass das stimmt.

 
 

Elke wird in das Werkstattviertel abgeschleppt. Diesmal war es kein Problem, einen geeigneten Abschleppwagen zu organisieren und das Abschleppauto trägt den Namen „REVAN“. Es beginnt schonmal gut. Wir stehen zwei Wochen im Werkstattviertel, alle Teile unseres Motors werden in unterschiedliche Fachwerkstätten gebracht und wir lernen die Leute und die Stadt Delhi kennen.

 
 

Normalerweise verbringen wir nicht so lange in einer Stadt, jedoch haben wir keine Wahl und Delhi schlussendlich einiges zu bieten.

Viel Zeit verbringen wir in der Kletterhalle und im Yogastudio, wo wir duschen können. Denn wir wohnen weiterhin in unserem unmobilen Zuhause.

Indien ist generell wieder ein eher teures Land. Vor allem in Delhi merkt man stark, dass viele Menschen in Indien immer wohlhabender werden. Menschen können sich hier eigene Autos leisten, Mieten sind hoch und Restaurants verhältnismäßig teuer und vor allem komfortabel. Hotelzimmer hätten wir uns für die Zeit der Motorreparatur nur ungern leisten wollen, gegessen haben wir oft auf der Straße. Bei der Zubereitung mussten wir zwar öfters wegschauen, aber wir hatten fast immer Glück. Es ist mittlerweile Mitte Februar und es wird deutlich wärmer. Kurz nach unserer Rückkehr aus dem eisigen Österreich haben wir in Indien unsere warmen Schlafsäcke wieder wegräumen können.

An Delhi ist sehr faszinierend, dass fancy Gated Community-Viertel gleich an Slum-artige Wohnverhältnisse angrenzen. Wir wohnen in der Werkstattstraße mit nicht asphaltierten und mit Müll zugepflasterten Straßen und zwei Querstraßen weiter ist es möglich, Bier in einem warmen Lokal zu trinken und Burger zu essen. Weil die Miete in unserem Viertel sehr billig ist, gibt es hier zwischen den Werkstattshops viele „Airkitchen“. Airkitchen sind wie Restaurants, die sich auf Lieferung und Takeaway spezialisiert haben. Wenn die Menschen nicht im Restaurant essen, kann die Küche und die Umgebung auch wenig attraktiv aussehen. Außerdem ist die Miete billiger, wenn nur der Platz für die Küche bezahlt werden muss. Direkt gegenüber von unserem Bus befindet sich eine Airkitchen-Pizzeria. Auf die ersten Pizzen und Tee wurden wir eingeladen und so haben sie an uns eine Stammkundschaft gewonnen. Während der Motor repariert wurde, haben wir so viele Pizzen gegessen, wie in den letzten Jahren zusammen nicht mehr. Weil die Küchen bei uns auch keinen Lieferdienst bezahlen müssen, ist eine tägliche Pizza zu umgerechnet 2,50€ auch leistbar. Eine Straße weiter wird in einer dunklen Ecke feinster japanischer Wok gekocht. Weil Delhi so international und wohlhabend ist, gibt es wieder internationale Küchen. Wir genießen Pizza und Falafel-Wrap als willkommene Abwechslung zur scharfen indischen Küche.

Indisches Essen kann wahnsinnig gut schmecken. Es werden verschiedene Gewürze und unterschiedlichstes Gemüse verwendet, was wir in den letzten Ländern sehr vermisst haben. Doch steckt hinter allem ein Haken. Oft wird Schärfe nicht richtig kommuniziert. Wenn wir „gar nicht scharf“ bestellen, gibt es eine 50-prozentige Chance, dass das Essen so scharf ist, dass wir die Lebensmittel darin nicht schmecken können. Indisch essen gehen ist wie Lotteriespielen. Entweder es ist zu scharf oder man sitzt einen Tag am Klo, wenn keines der beiden Dinge der Fall ist, hat man gewonnen.

Mit dem Tuktuk lassen wir uns zu allen gratis Sightseeing-Spots bringen. Die, für die man Eintritt bezahlen muss sind uns zu teuer. Für Touris gibt es auch hier einen gesonderten Preis, nur diesmal ganz offensichtlich. Während zum Beispiel der Eintritt in das Quitab Minar für Einheimische 40 Rupien (~0,50€) kostet, sind es für Ausländer*innen 600 Rupien (~7€). Dafür, dass man einfach von näher dran ein Foto machen kann. Und das ist noch eine der billigeren Tourist*innen-Attraktionen. Einige schöne Plätze, welche (noch) nichts kosten hat Delhi dennoch zu bieten und wir besuchen mehr Sightseeing Spots als auf der ganzen Reise zusammen. Besonders die Gärten von Delhi haben es uns angetan. Dort wuchern unsere Zimmerpflanzen wie wild. Delhi ist generell sehr grün, es gibt viele alte Bäume und Parkflächen. Wenn ein Gebäude gebaut wird, wird eher um einen Baum herumgebaut, als ihn zu fällen.

 
 

Wir verstehen uns gut mit den Menschen, die täglich in die Werkstattstraße kommen, um Autos zu lackieren, Zylinderköpfe zu hohnen und Motoren zusammenschrauben. Man erklärt uns, dass hier deshalb so viele Motoren repariert werden, weil Inder einen sehr gewalttätigen Fahrstil haben und jeder seiner eigenen Profession treu bleibt. Das heißt, dass sich ein Fahrer nicht um die Wartung des Autos kümmert, keinen Ölstand kontrolliert oder Kühlwasser nachfüllt. Erst wenn das Auto nicht mehr fahren will, kommt es zum Mechaniker, denn es ist dessen Aufgabe, das Auto wieder zum Laufen zu bringen. Schlussendlich haben wir trotz allem großes Glück, dass uns dieser Motorschaden in Indien passiert ist. Ersatzteile gibt es aber leider überhaupt keine. Die Mechaniker sind froh, dass wir die Dichtungen mitgenommen haben, denn nicht einmal die wären in der richtigen Größe in Indien verfügbar gewesen. Der Motorschaden war ein Folgeschaden der kaputten Ölpumpe. Weil es diese auch nicht gibt, wird sie repariert. Denn alles kann repariert werden.

Trotz, dass wir uns hier gut eingelebt haben und alle unsere „Nachbar*innen“ beim Namen kennen, sind wir hier Außerirdische. Kinder rütteln in der Früh vor der Schule an unserem Auto, weil sie wissen, dass wir darin schlafen. Wir werden oft spät abends oder sehr früh aus dem Auto geklopft, weil jemand unbedingt mit uns sprechen oder ein Selfie machen will. Wir sind wie Tiere im Zoo. Irgendwann hört der Spaß auf.

Noch nie waren die Menschen in einem Land, in dem wir gelebt haben, so gottesfürchtig wie hier. Diskussionen werden nach kurzer Zeit beendet, mit der Begründung, dass Gott besser Bescheid wüsste. Viele Dinge, die wir versuchen zu erfragen, werden mit dem Verweis auf Gott beantwortet. Wir haben noch nie so viele Menschen so oft beten gesehen.

Nach gut zwei Wochen in der 32 Einwohner*innen-Metropole wird es für uns sehr anstrengend, überhaupt auf die Straße zu gehen. Es ist ständig laut, Tag und Nacht wird gehupt, gebellt, telefoniert und die Viertel mit Musik beschallt. Es ist gerade Hochzeitssaison in Indien und in jeder Ecke der Stadt dröhnt viel zu laute Musik. Der Weg zum Gemüsemarkt ist anstrengend. Ständig muss man auf den Boden schauen, dass man in keine Fäkalien tritt und gleichzeitig aufpassen, nicht überfahren zu werden. Die Straßen sind überfüllt, Menschen schauen ständig auf ihr Handy und sind oft schockiert, uns zwei zu sehen. Mehrmals haben wir mit unserer bloßen Anwesenheit beinahe schlimme Verkehrsunfälle verursacht, weil jemand abrupt abbremsen musste, um uns beim Gehen zu filmen. Und ständig sind da diese Hupen. In Indien gibt es kein Gesetz, wie laut Hupen sein dürfen. Selbst Mopeds haben LKW-Hupen eingebaut, mit denen sie einem von hinten direkt in die Ohren dröhnen. Wenn jemand wegfährt oder wo durchfährt oder parkt oder in ungefährer Linie von einem anderen Fahrzeug oder einer Person oder einfach nur geradeaus fährt, es muss gehupt werden und das durchgängig. Die Menschen müssen sich gegenseitig anschreien, weil sie wegen dem Verkehr oder der Folgen des Dauerlärms nichts mehr hören können. Einfache Dinge zu erledigen wird zum täglichen Kraftakt. Es ist hier so gut wie kein Hausverstand vorhanden. Dennoch schaffen wir es in der Zeit der Motorreparatur, unsere neue Inneneinrichtung mithilfe des Tischlers vom örtlichen Möbelmarkt fertigzustellen.

Nach zwei Wochen wird der Motor wieder eingebaut und er läuft tatsächlich wieder. Wir können es kaum glauben und freuen uns sehr, endlich wieder mobil zu sein.

 
 

Anfangs trauen wir dem Wunder nicht und fahren ein paar Runden um Delhi, um im Falle schnell wieder bei der Werkstatt sein zu können. Doch der Motor hält und unsere Mechaniker sind zuversichtlich, dass wir damit noch sehr viele Kilometer fahren können.

Also erledigen wir nach den Probefahrten die Bezahlung und verlassen bei Sonnenuntergang endlich diese laute Großstadt. 600€ wollen sie von uns für unseren jetzt generalüberholten Motor. Wir sind einverstanden und überglücklich. Wir wissen auch schon, wo wir hinwollen: zur Klettercommunity am Stadtrand, wo wir vor dem Motorschaden und unserem „Österreich-Urlaub“ eigentlich hinwollten. Übrigens schaffen wir es die ganzen 1,5 Stunden Fahrt, nicht zu hupen. Ein Wunder? Ja, oder Hausverstand. Wir genießen die Ruhe, die Natur und die Felsen. Es ist so schön, wieder da wohnen zu können, wo wir möchten.

 
 

Nach einigen Tagen ziehen wir weiter Richtung Rishikesh. Der Weg dort hin gestaltet sich nicht wirklich als die Camping-Romantik, die wir uns erhofft haben. Wir finden keine unbebaute Fläche zum Parken. Da, wo keine Häuser oder Hütten sind, sind Felder. Und überall sind Menschen. Wir parken oft nach langer Stellplatz-Suche bei Dunkelheit neben einer weniger stark befahrenen Straße. In der Früh werden wir davon geweckt, dass ein Büffelwagen bei uns vorbeischert oder Menschen auf unseren Bus springen.

 
 

Sobald wir uns zu erkennen geben, müssen wir erklären, dass „Austria“ nicht „Australia“ ist und Selfies machen. Manchmal fragen wir bei Tankstellen, ob wir dort übernachten dürfen, doch haben nie Erfolg. René beginnt dort Aufklärungsarbeit zu leisten und erklärt mehreren Tankstellen-Mitarbeitenden, wie ihr Kartenlesegerät auch mit unserer Karte funktioniert. Viele Autos überholen uns, sehen uns, bremsen ab und bleiben dann kilometerlang hinter uns. Wir sind wahrscheinlich auf stundenlangen Youtube-Videos zu sehen. Auf der Autobahn überholen uns Mopeds, auf denen eine ganze Großfamilie sitzt, um dann abrupt vor uns abzubremsen, weil sie unser Kennzeichen gesehen haben. René kann der Familientragödie manchmal nur knapp ausweichen, doch wir schaffen es, niemanden umzufahren.


In Rishikesh parken wir wieder neben der Straße, aber in Nationalparknähe. Hier soll es viele wilde Elefanten geben, die auf der Straße manchmal Autos aufbrechen, wenn sie kein Futter finden, doch wir sehen zum Glück (oder leider) keine.

Hier informieren wir uns über Yogaausbildungen und finden ein ansprechendes Studio. Wir entscheiden uns aber, die Ausbildung nicht sofort im März zu beginnen, sondern zuerst den perfekten Beginn der Wandersaison in Nepal auszunutzen.

 
 

Außerdem haben wir ein bisschen die Nase voll vom indischen Lärm, dem Gestank und der Verständnislosigkeit der Menschen.

Wir wissen von unseren Reise-Freund*innen, dass der Süden Indiens um 180 Grad anders ist als der mittlere Norden, in dem wir uns aufhalten. Vielleicht geben wir Indien irgendwann nochmal eine Chance, doch jetzt haben wir erstmal genug.


Wir machen uns auf den Weg zur westlichsten Grenze von Nepal. Am Weg fahren wir an tausenden Pilgern vorbei. Sie laufen mehrere Tage oder sogar Wochen Großteils Barfuß, um zu heiligen hinduistischen Tempeln in den Bergen zu kommen. Natürlich passiert das nicht ohne viel zu lauter Musik. Vor den Massen fährt ein LKW voll mit riesigen Subwoofern her und beschallt die Menschen dauerhaft mit Bass. Was uns erstaunt: es laufen auch sehr viele Jugendliche in orangen Gewändern und mit Heiligenstatuen auf den Schultern mit.


Am Tag vor dem Grenzübertritt stehen wir in einem Wald und genießen die Stimmung. In der Nacht gibt es heftige Gewitter, es fühlt sich so an, als ob der Himmel über uns herunterbrechen würde. So etwas gewaltiges haben wir noch nie erlebt.

In der Früh fahren wir bei Sonnenschein Richtung Grenze, passieren eine sehr enge Brücke und fahren durch das trockene Flussbett nach Nepal hinüber.

 
 

Nach einer abenteuerlichen Überfahrt erreichen wir zuerst die indische Grenze, erledigen die Grenzkontrolle und wenig später sind wir auf einer Schotterstraße in Nepal. An dem Tag ist noch eine finnische Motorrad-Gruppe über die Grenze gefahren. LKW-Verkehr gibt es hier keinen. Dort suchen wir im Ort nach dem Grenzbüro für unsere Visa und danach das weiter entfernte Büro für die Fahrzeugeinreise. Wir erkennen hier schon, dass wir in einem komplett anderen Land sind. Die Menschen unterhalten sich mit uns, grüßen höflich auf der Straße und niemand muss sein Handy zücken und „Selfie!“ schreien. Vor allem: niemand hupt.

Es ist schön hier.

Jetzt sind wir angekommen, wir haben unser tatsächliches Ziel erreicht!


 

Etappe 12


930km


unsere Route durch Indien
Unser kurzer langer Weg durch Indien
 

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